Karina2you: Eine dreifache Mutter wird als Tiktokerin berühmnt (2024)

Frau Kipp, Sie sind mit rund 6,9 Millionen Followern auf Tiktok und einer Million Followern auf Instagram eine der erfolgreichsten deutschen Influencerinnen. Wie kam es dazu?

Karina Kipp: Durch meine Tochter. Ich hatte ihr ein Handy erlaubt, aber verboten, dass sie irgendwelche Apps runterlädt, außer ein paar Spiele wie Candy Crush. Dann habe ich irgendwann die Tiktok-App bei ihr gesehen und war sauer. Bevor ich sie gelöscht habe, habe ich sie studiert und mir angeschaut, was das ist. Ich habe das Videobearbeitungsprogramm entdeckt und die tollen Möglichkeiten. Das hat mir Spaß gemacht. Ich habe mich selbst angemeldet und Tiktoks hochgeladen. Eines davon ist viral gegangen, weil ich etwas falsch ausgesprochen habe, und plötzlich hatte ich schon ein paar Hundert Follower.

Dazu muss man sagen, dass Sie gebürtige Lettin sind. Deshalb kam es zu diesem Missverständnis.

Ja, ich fand diese Erfahrung lustig, und das ging vielen, die das Video gesehen haben, genau so. Dass es so gut ankommen könnte, damit habe ich überhaupt nicht gerechnet.

Sie sind 45 Jahre alt, das ist relativ untypisch für Tiktok. Die meisten Nutzer sind zwischen 18 und 34 Jahre alt, viele sind jünger. Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie viel gleichaltrige Follower?

Die meisten sind zwischen 18 und 34, aber viele sind auch älter, zwischen 40 und 56 Jahren. Vor Kurzem habe ich eine Dame getroffen, die über 70 Jahre alt war und mich kannte. Ich bekomme auch oft Kommentare, in denen berichtet wird, dass mir die ganze Familie zuschaut, inklusive Oma.

Woher mag es kommen, dass es – zumindest in Deutschland – wenig erfolgreiche Tiktoker Ihres Alters gibt?

Ich glaube, viele trauen sich das nicht zu oder haben Angst, sich lächerlich zu machen. Ich musste anfangs auch über meinen Schatten springen. Ich wollte nie perfekt sein und mich immer ins beste Licht rücken. Ich nehme meine Videos auch nur ein einziges Mal auf. Ich bin wie ich bin, was schief geht, geht schief. Das ist nicht jedem angenehm. Ich werde oft gefragt, was man tun muss, um erfolgreich zu sein. Man muss sehr hartnäckig sein. Man muss viel Zeit investieren. Man muss aushalten können, dass es Höhen und Tiefen gibt.

Ihre kurzen Clips auf Tiktok und Instagram sind überwiegend komisch. Sie probieren sogenannte Lifehacks aus, Tipps und Tricks für Alltag und Haushalt. Sie machen sich über sich selbst lustig, veräppeln Ihre Tochter und Ihren Bruder. Woher kommt dieser Humor?

Aus schwierigen Zeiten. Ich war ein Kind, das sehr viel gelacht und andere zum Lachen gebracht hat und komme aus einer wohlhabenden Familie. Aber als mein Vater uns Hals über Kopf verlassen hat, ging es uns finanziell sehr schlecht. Meine Mutter stand plötzlich mit mir und meinem Bruder ohne Geld da. Sie konnte nicht als Ärztin arbeiten. Sie hätte sich neu qualifizieren müssen, und dazu fehlte das Geld. Ich musste schon mit 16 für die Familie sorgen, habe sehr viele Jobs angenommen und hart gearbeitet. Wir sind irgendwie über die Runden gekommen, auch, weil wir das Lachen trotzdem nicht verlernt haben.

Das Wachstums Ihres Kanals ist enorm. Sie haben 2019 angefangen, inzwischen haben Sie allein auf Tiktok mehrere Millionen Follower. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Eigentlich habe ich erst 2020 richtig angefangen. Da hatte ich erst verstanden, wie Tiktok funktioniert. Als ich mit den Videos angefangen habe, musste ich immer wieder lachen. Das hat so gutgetan, weil wir mitten in der Pandemie steckten. Ich war selbst gefesselt von den schlimmen und traurigen Nachrichten. Dagegen wollte ich was tun, um mich abzulenken, aber auch, um meine Leute, Freunde und Bekannte, aufzumuntern. Da habe ich noch gar nicht an fremde Follower gedacht.

Sie verbringen täglich bis zu acht Stunden mit Tiktok und Instagram, sagen aber, das sei nicht Ihr Beruf? Wie ist das zu verstehen?

Für mich ist und bleibt Tiktok ein Hobby, das ist mir wichtig. Ich verdiene kein Geld mit Views oder Likes wie andere Tiktoker. Dafür habe ich mich bewusst entschieden, ich bin sozusagen ehrenamtliche Influencerin. Ich verdiene etwas Geld mit Werbung oder Veranstaltungen, aber das treibt mich nicht an.

Wieso versuchen Sie nicht, so viel Geld wie möglich zu verdienen, wenn Sie so viel Zeit investieren?

Ich möchte mich nicht von Klickzahlen abhängig machen. Ich möchte unabhängig bleiben. Ich habe Angst, dass ich nicht mehr mache, was ich wirklich will, wenn ich immer aufpassen muss, dass ich genug Likes bekomme. Ich möchte mich lieber darauf konzentrieren, Leute zum Lachen zu bringen. Viele andere Influencer sagen, ich sei verrückt. Aber man kann sich nicht vorstellen, wie motivierend das Feedback ist, das ich von Followern bekomme. Das ist mir viel mehr wert als Geld.

Gibt es nicht auch Neider oder Miesepeter, die Ihnen Ihr Hobby verleiden?

Von anderen Influencern weiß ich, dass sie mit Hasskommentaren überzogen oder sogar auf der Straße beleidigt oder angespuckt werden. Ich kenne das nicht. Meine Zuschauer freuen sich, wenn sie mich treffen. Dafür bin ich sehr dankbar. Meine Community ist toll.

Sie bekommen gar keine negative Resonanz?

Doch, aber wenig. Ich schenke diesen Leuten keine Aufmerksamkeit und keine Zeit. Andere machen Videos über ihre Hater und erzählen, wie betroffen und traurig sie das macht. Ich biete diesen Menschen keine Plattform. Wer sich nicht benehmen kann, der fliegt raus. Es gibt eine ganz tolle Funktion dafür: löschen. Ich hatte mal einen hartnäckigen Follower, der mir immer wieder geschrieben hat, ich sollte endlich richtig Deutsch lernen. Ich habe ihn ein, zwei Monate geduldet. Dann war seine Zeit abgelaufen, ich habe entschieden, ihn nicht weiter zu belästigen und habe ihn blockiert.

Sie betreiben das alles als Hobby, haben aber ein Management ...

Ich werde öfter zu Events eingeladen oder auch in Fernseh- oder Radiosendungen. Mein Management organisiert das alles. Es nimmt mir sehr viel ab. Man darf nicht vergessen, wie viel Aufwand in dem Kanal steckt. Ich bin aber auch noch Mutter von drei Kindern und muss meinen Haushalt machen, muss viel organisieren. Das ist sehr viel Arbeit.

Ist das die Schattenseite Ihres Erfolgs?

Ja, bestimmt. Es gibt Tage, da liegt sehr viel auf meinen Schultern. Ich achte sehr darauf, dass meine Familie nicht zu kurz kommt. An manchen Tagen bin ich erschöpft und leer. Dann reposte ich ältere Videos, damit die Zuschauer kontinuierlich Inhalte bekommen.

Sie können es sich nicht leisten, mehrere Tage offline zu sein?

Ich bin jeden Tag präsent. Aber nicht, damit ich keine Follower verliere. Ich habe immer eine Mail vor Augen, die mir eine Familie geschickt hatte, die Opfer eines Erdbebens war. Sie schrieb mir, ich sei ihr Licht in dieser schweren Lage. Andere schreiben, dass sie jeden Tag sehnsüchtig auf meine Videos warten. Das ist Wahnsinn. Wie kann ich da eine Pause machen?

Haben Sie selbst auch dunkle Tage, an denen Sie ein Licht brauchen könnten?

Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich Gott sei Dank keine solchen Tagen mehr habe.

Liegt das an Tiktok?

Ich glaube schon. Aber vor allem liegt es daran, dass wir in unserer Familie wirklich extrem viel lachen.

Ihre älteste Tochter und Ihr Bruder gehören zum festen Repertoire Ihrer Videos. Der Rest der Familie nicht. Warum?

Mein Mann möchte nicht, und meiner ganz kleinen Tochter, sieben Jahre alt, erlaube ich es nicht. Wenn man sie sieht, dann sieht man nur den Hinterkopf. Mein 13-jähriger Sohn möchte schon seit Langem mitmachen. So nach und nach beziehe ich ihn ein, wenn es passt. Bei meiner großen Tochter habe ich es nicht anders gemacht. Ich habe komplett alleine angefangen, dann habe ich sie einbezogen.

Haben Sie keine Sorge, dass Ihren Kindern der Erfolg zu Kopf steigen könnte?

Meine Tochter begleitet mich oft zu Events, bei denen viele Prominente sind und wir auch im Scheinwerferlicht stehen. Ich bin immer wieder erstaunt und auch stolz, wie gut sie das meistert. Sie ist ein Teenager wie jeder andere, sie ist ganz natürlich geblieben und überhaupt nicht überheblich.

Ihre Tochter hat in einer Fernsehsendung gesagt, dass Tiktok sie einander näher gebracht hätte. Inwiefern?

Wir können uns über soziale Netzwerke und die Inhalte unterhalten. Viele Eltern wissen gar nicht, was ihre Kinder im Internet machen. Aber es ist wichtig, sich darüber zu unterhalten, damit man weiß, was die Kinder beschäftigt und bewegt und worüber sie mit anderen reden.

Es gibt auch Videos, die nicht komisch sind. Eines ist Ihren Kindern gewidmet. Darin heißt es: „Doch manchmal, wenn der Lärm der Welt um uns herum zu laut wird, entgleitet uns die kostbare Zeit zwischen den Fingern, und wir können sie nie zurückholen.“

Ich will damit Eltern erreichen, um ihnen klar zu machen, dass man sich für diese kleinen Geschöpfe Zeit nehmen muss, egal wie tief man im Beruf steckt oder was einen sonst so beschäftigt. Und vielleicht will ich damit auch zeigen: Es gibt in meinem Leben nicht nur die eine lustige Seite, sondern auch ernste Themen.

Apropos Einladung zu Veranstaltungen - Sie waren auch schon in Bremen als Social-Media-Prominente zu Gast, bei den Six Days und bei „Dein Festmahl“. Verbindet Sie noch mehr mit Bremen?

Ich liebe Bremen. Das war die einzige Stadt in Deutschland, die ich kannte, als ich noch in Lettland wohnte – wegen eines Trickfilms über die Stadtmusikanten. Als ich nach Deutschland kam, sagte ich meinem Mann, dass ich unbedingt Bremen sehen muss.

Das Gespräch führte Silke Hellwig.

Zur Startseite